Dieses Buch, das zu meinem zuerst gelesenen im Jahr 2021 wurde, ist vor allem eines – wahnsinnig vielseitig! Die größten Unterschiede bestehen in der Länge der insgesamt 23 Essays, die zwischen drei und dreißig Seiten lang sind, und deren Qualität. Man liest sowohl originale, für dieses Sammelwerk geschriebene Erzählungen auf deutsch, als auch Übersetzungen von früher auf englisch publizierten Artikeln. Das vereinende Merkmal all dieser Geschichten bleibt hingegen die Eigenschaft, dass sie alle von Schriftstellerinnen über ihre persönlichen “Schreibwelten” verfasst wurden.
Nach dem zu Ende lesen wurde bei mir vor allem eines erweckt – die Motivation selber zu schreiben. Die Essays, die mir am meisten gefallen haben, schafften es, einen Einblick in eine Welt zu gewähren, unter welcher man sich normalerweise wenig vorstellen kann. Schreiben Schriftsteller täglich oder nur wenn sie sich inspiriert fühlen? Was passiert zwischen den ersten und den letzten geschriebenen Zeilen eines Buches? Auch wenn sich jede Autorin ihrer eigenen Methoden und Eigenheiten bedient, wird jedoch eines klar – es steckt IMMER eine wahnsinnige Menge an Arbeit dahinter. Ob es das ewig lange verändern und korrigieren der bereits verfassten Sätze ist, oder auch das monatelange recherchieren, das hinter dem fertigen Werk steckt, es wird einem klar, wie zeit- und konzentrationsintensiv eine derartige tägliche Arbeit ist.
Schreiben ist Kampf, das gilt für Männer genauso wie Frauen unabhängig vom Geschlecht, und es ist Synonym für allerhöchste Konzentration.
Ilka Piepgras – S. 13
Nach zehn Jahren Übung, an die ich mich nicht mehr erinnern kann, begann ich, mit dem Verfassen von Büchern, Essays und Theaterstücken meinen Lebensunterhalt zu verdienen. […] Bevor ich eine neue Arbeit beginne, recherchiere ich oft Monate, manchmal ein Jahr.
Sibylle Berg – S. 219-220
Es wird eine Vielzahl an spannenden Sujets abgedeckt – wie sich die Arbeit des Schreibens mit der Mutterschaft vereint; wie dieser Beruf von der Gesellschaft angesehen wird; das Zusammenspiel von Identität und Mehrsprachigkeit beim Schreiben; sowie die tiefere Bedeutung von Büchern im allgemeinen:
Als Leserin von Büchern bin ich davon überzeugt, dass Wörter eine nahezu magische Kraft haben, nicht nur weitere Wörter zu erzeugen, sondern flüchtige Bilder, Gefühle und Erinnerungen. Manche Romane und Gedichte hatten die Kraft, rohe, unbekannte Teile von mir aufzudecken, spiegelten etwas, wovon ich vorher nichts gewusst hatte.
Siri Hustvedt – S. 65
“Was ist für Sie das Größte, das die Literatur den Menschen geben kann? Der Kultur? Der Schriftstellerin oder dem Schriftsteller?” – Sheila Heti
“Uns an Orte zu begleiten, wo wir nie gewesen sind, vor denen wir Angst haben.” – Elena Ferrante
Sheila Heti – S. 273
Man bekommt ein besseres Verständnis dafür, welche Schreibphasen es gibt, durch die sich Schriftsteller wiederholt durchkämpfen müssen, man merkt sich sogar einige Tipps vor, die einem selber in Zukunft beim Schreiben brauchbar werden könnten:
Es gibt Tage, an denen ich in meinen Roman eintauche wie in ein Schwimmbecken, und wenn ich herauskomme, fühle ich mich leer, verträumt und ausgelaugt.
Anne Tyler – S. 29
Ich selbst glaube gläubig an beamtenhaftes Verhalten: Selber Ort, selbe Zeit, auch wenn ich am Vortag zu viel getrunken habe oder zu spät ins Bett gegangen bin. Sich zu benehmen, als wäre man Beamter, als hätte man definierte Arbeitszeiten und einen strengen Chef […].
Eva Menasse – S. 34
Weshalb also die Bewertung von 4/5 ★? Es ist ziemlich vorhersehbar, dass aus 23 Essays von 23 verschiedenen Autoren, einem wahrscheinlich nicht alle gefallen werden, was genau bei mir der Fall war. Einige fand ich in keiner Weise ansprechend und sie blieben mir gar nicht im Gedächtnis – der dreiseitige Beitrag von Elfriede Jelinek wurde wahrscheinlich nur wegen ihrer Bekanntheit als Autorin drinnen gelassen und Antonia Baums Essay passte vom Stil her gar nicht zu den anderen. Andere habe ich hingegen mit Begeisterung sofort ein zweites Mal gelesen, wie zum Beispiel die ebenfalls dreiseitige Geschicht von Hilary Mantel, die das Slogan “In der Kürze liegt die Würze” auf jeden Fall vertritt.
Meine Highlights des Buches hingegen waren:
– sich an den eh und je charmanten Stile von Mariana Leky und Deborah Levy erfreuen zu können (es scheint so, als ob sogar Einkaufslisten von ihnen genießbar lesen lassen würden 😀 );
– mit Neugierde die Meinung von Zadie Smith zu entdecken, weshalb ihr der “ich-Erzählstil” früher schwer gefallen ist;
– einen spannenden Einblick in das sonst so private Leben von Elena Ferrante durch Sheila Hetis Interview zu bekommen.
Dank dieses Buches hat man nicht nur kleine individuelle Welten der Autorinnen entdecken können, sondern auch viele weitere Lese- und Buchempfehlungen mit auf dem Weg nehmen können. Mir hat vor allem auch Spaß gemacht, weitere Recherchen zu den Autorinnen zu betreiben und so zum Beispiel eine spannenden Dokumentarfilm über Joan Didions Leben auf Netflix zu entdecken. Somit würde ich das Buch all jenen empfehlen, die gerne lesen, die gerne schreiben oder zu schreiben anfangen wollen.

★★★★☆ (4/5)
Edition: ISBN 978-3-0369-5826-2
Kein & Aber, 2020